St. Johannes

Eine Kirche wie eine Arche

Der frei stehende Kirchturm von St. Johannes überragt die Siedlungen Holtkamp und Thünen. Als die Pfarrkirche zwischen 1959 und 1962 gebaut wurde, gab es die beiden Wohngebiete noch nicht. Einsam stand die Kirche auf freiem Feld. Ihr moderner Saalbau erinnerte von außen allerdings weniger an ein Gotteshaus als an eine Fabrikhalle. Mit dieser Bauweise wollten die Architekten Benteler und Wörmann bewusst an die Arbeitswelt der Menschen anknüpfen.

Sie war die jüngste unter den fünf katholischen Kirchengemeinden der Stadt, reihte sich aber als zweitgrößte Pfarrei gleich hinter St. Christophorus ein: St. Johannes, bis 2006 eine selbstständige Pfarrgemeinde. Zum 1. März 1964 hatte der damalige Bischof von Münster, Dr. Josef Höffner, den Seelsorgebezirk St. Johannes in den Rang einer Pfarrei erhoben. Aloys Ording, bis dahin Vikar der Mutterkirche St. Christophorus, wurde zum ersten Pfarrer der neuen Gemeinde ernannt.

Jede Mark für den Kirchenbau zählt

Ording hatte Mitte der 1950er-Jahre von Bischof Dr. Michael Keller den Auftrag erhalten, den Kirchenbau für die geplante Gemeinde zu beaufsichtigen. Keller hatte dem Vikar zwei Alternativen unterbreitet – die Nachfolge von Pfarrer Bensch in Stockum anzutreten oder den Aufbau der neuen Kirche zu leiten. „Nach reiflicher Überlegung gab ich dem Bischof zu verstehen, dass mir die Übernahme des Kirchbaus nicht unangenehm wäre“, erinnerte sich Ording später in der Kirchenchronik. Hinter der zurückhaltenden Formulierung versteckt sich ein resolutes Engagement: Ording widmete sich der Aufgabe mit ganzer Kraft und warb an verschiedenen Stellen erfolgreich für die finanzielle Unterstützung des Bauvorhabens.

Ein großes Lob zollte er in der Kirchenchronik den Katholiken von St. Christophorus, dafür „dass sie für St. Johannes immer wieder eine offene Hand hatten“. Ording erwies sich zudem als einfallsreicher Spendensammler. Als er 1955 auf einem Hof in Schmintrup zu einer Hochzeit eingeladen war, suchte er spontan in der Kleiderablage nach einem Zylinder und ging damit durch die Tischreihen der Gäste. „Es wurde ein voller Erfolg“, berichtete er. Und sogar die Doppelkopfrunde der Werner Pfarrgeistlichen konnte er davon überzeugen, die erspielten Summen dem Kirchbau zu übertragen.

Vergessener Schutzpatron kommt wieder zur Geltung

Noch vor Baubeginn wählte der Kirchenvorstand von St. Christophorus das Patrozinium der neuen Kirche. In Erinnerung an den einstigen mittelalterlichen Patron der historischen Stadtkirche sollte die neue Kirche St. Johannes heißen. Von Leopold Schulze Becking, einem Landwirt im Holtkamp, erwarb die Gemeinde das Bauland nahe der Horster Straße. Mit der Planung des Kirchenbaus wurden die Architekten Heinrich Benteler und Albert Wörmann beauftragt. Eine renommierte Wahl: Die beiden Männer zeichneten für den Wiederaufbau des Münsteraner Paulusdoms verantwortlich. St. Johannes entstand in den Jahren 1959 bis 1962. Zum ersten Spatenstich setzte Dechant Aschoff am 9. Oktober 1959 an. Am 24. Juni 1962, dem Johannistag, wurde das Gotteshaus von Weihbischof Heinrich Baaken konsekriert.

Moderner Saalbau der Architekten Benteler und Wörmann

Sein moderner Saalbau erinnert von außen allerdings weniger an ein Gotteshaus als an eine Fabrikhalle – eine bewusste Anknüpfung an die moderne Arbeitswelt. Die großflächigen Ziegelwände werden lediglich am Dachrand und an den Längsseiten im Bereich des Chorraums durch Wabenfenster aus Beton aufgelockert. So betont der Lichteinfall im Inneren den Chor mit Altar und Ambo als zentralen Ort des Glaubens. Nichts sollte davon ablenken. Und so erlebten die Gläubigen innen ursprünglich einen weitgehend schmucklosen, grau gestrichenen Raum.

Sinnbild einer Zufluchtsstätte

Lange hielt der erste Pfarrer Aloys Ording die Leere der hohen Wände nicht aus. Schon 1962 gab er beim Künstler Ludwig Baur ein großes Wandbild für die Chorwand in Auftrag; wenige Jahre später sorgte er für weitere Innenausstattungen. Hierzu gehörte eine Bronzeplastik des heiligen Joseph und eine überlebensgroße Figur des Kirchenpatrons Johannes des Täufers. Für die versilberte Holzskulptur stiftete Ording höchstpersönlich 1,5 Kilogramm reines Silber. Heiner Innig, letzter Pfarrer der selbstständigen Gemeinde St. Johannes, fühlte sich durch die Kirche an die Arche Noah erinnert: „Ich sehe sie als Sinnbild einer Zufluchtsstätte vor Chaos und Bedrohung.“ Mit den grauen Wänden konnte sich Innig allerdings nicht anfreunden. Er ließ sie in einem hellen Eierschalfarbton streichen, der für mehr Leuchtkraft und Transparenz sorgte.

Spätes Angelusläuten

Der Glockenturm von St. Johannes steht – in der Tradition italienischer Campanile – frei, ohne räumliche Verbindung zum Gotteshaus. Das Glockengeläut erregte die Gemüter der Anwohner, nachdem rund um die Kirche die Hochhäuser des Holtkamps entstanden waren. Denn: Das Glockengeläut erschallt in den Etagen auf Kirchturmhöhe besonders laut. Daher erklingt das morgendliche Angelusläuten in St. Johannes erst um 8 Uhr und damit relativ spät.

Pfarrer von St. Johannes

1964 bis 1981: Pfarrer Aloys Ording

1981 bis 2000: Pfarrer Josef Pott

2000 bis 2006: Pfarrer Heiner Innig

 

Literatur: Die Kirchenchronik von St. Johannes

Himmlisches Mahl: Das Chor-Wandbild von Ludwig Baur

Das Wandbild

In der schlicht gehaltenen Kirche von St. Johannes sticht das hohe Wandbild hinter dem Altar sofort ins Auge. Vor allem, wenn bei tieferem Sonnenstand das Licht strahlenförmig durch die Wabenfenster zu beiden Seiten des Chorraums einfällt. Das Bild ist im abstrakt-expressionistischen Stil der 1950er-Jahre gehalten und stammt von Ludwig Baur. Der Kirchenmaler hat unter anderem das Christusmosaik in der Abteikirche Gerleve geschaffen.

Pfarrer Aloys Ording kannte Baur noch aus seiner Studienzeit in Münster und bat ihn 1962, ein Wandbild für die hohe Chorwand in St. Johannes zu gestalten. 1965 war das Bild fertig. Es zeigt im unteren Teil das letzte Abendmahl in Form eines Halbreliefs, darüber ein Mosaik mit einer Szene aus der Apokalypse: die Anbetung des Lammes durch die Schar der Märtyrer.

Liebe und Tod, Leben und Hoffnung

Baur arbeitete mit stark stilisierten Figuren. Seine Apostel bildete er aus ellipsenförmigen Segmenten, die Oberkörper und Kopf andeuten. Augen, Nase und Mund sind nur grob skizziert, ohne individuelle Züge. Die Abendmahlsszene ist eingebettet in einen Ausschnitt, der aussieht wie ein schmales Autoheckfenster. Jesus und die Apostel bestehen aus grau-sandfarbenen Steinen. Nur zwei Farben durchbrechen diese Einheit: der rote Heiligenschein Jesu und der grüne Hintergrund. Rot und Grün, die Farben der Liebe und des Todes, des Lebens und der Hoffnung. Der rote Nimbus erinnert an Jesu Blut, das vergossen wird; der grüne Grund verhaftet die Szene außerdem im Irdischen.

Himmlische Herrlichkeit

Darüber legte Baur das Mosaik an, auf dem eine Gruppe von Märtyrern – als solche zu erkennen anhand der Märtyrerpalme in ihren Händen – einen Halbkreis um ein Lamm bildet. Dessen Kopf ist von Strahlen umgeben. Neben verschiedenen Grau- und Weißschattierungen dominiert in diesem Bereich Blau als Farbe des Himmels, der Reinheit und der Ruhe. Wieder sind die Figuren in expressionistischer Manier nur angedeutet; Gesichtszüge fehlen. Stattdessen spricht die emotionale Gestik, mit der die Märtyrer dem Lamm ihre Palmwedel entgegenstrecken, für sich.

Die Szene verweist auf die Offenbarung des Johannes: „Danach sah ich: eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen ... Sie standen in weißen Gewändern vor dem Thron und vor dem Lamm und trugen Palmzweige in den Händen. Sie riefen mit lauter Stimme: Die Rettung kommt von unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und von dem Lamm (Offb 7,9–10/Einheitsübersetzung).“

Durch die Kirche zum Erlöser

Baurs Mosaik bildet also einen zentralen Moment der Heilsgeschichte ab, den Zusammenhang zwischen dem Opfertod Christi, angedeutet im letzten Abendmahl, und der apokalyptischen Anbetung des Lammes – in der theologischen Deutung ein Symbol für den siegreichen Jesus, der zum Erlöser der Welt wird.

Die Kirchenchronik verzeichnet folgende Aussagen von Ludwig Baur zu seinem Wandbild „Auf dem Weg durch die Mitte der Kirche zum Altar sieht der Christ das himmlische Hochzeitsmahl vor sich. Wer aber dorthin gelangen will, muss zunächst die Altarstufen emporsteigen. Die Kraft dazu, zu einem christlichen Leben, gibt uns Christus selbst. Wir feiern mit ihm die heilige Eucharistie, wozu uns das Bild vom letzten Abendmahl unten auf dem Bilde einlädt. Die Dreiheit von Altar {Anmerkung: Tisch des Mahles}, Tabernakel und Ambo {Anmerkung: Tisch des Wortes} gehören gedanklich zum Mosaikbild.“